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Fahrradtraining der vierten Klasse
Für alle vierten Klassen ist die Verkehrserziehung aus gutem Grund fester Bestandteil des Lehrplans in Deutschland. Aber anders als beim Schwimmunterricht, der ebenfalls verpflichtend ist, leuchtet vielleicht nicht jedem die Notwendigkeit dieses aufwendigen Extraunterrichts ein. Schließlich können fast alle Schülerinnen und Schüler in der vierten Klasse bereits Radfahren und kommen teilweise auch schon mit dem Rad zur Schule. In der Regel sind die Kinder also zu diesem Zeitpunkt auch schon mit den wichtigsten Verkehrszeichen und -regeln vertraut und haben spätestens im Kindergarten ein entsprechendes Gefahrenbewusstsein vermittelt bekommen. Die Zahl von etwa 3600 allein in NRW jährlich als Fußgänger oder Radfahrer bei Verkehrsunfällen verunglückten Kindern zeigt aber, wie wichtig es ist, diesem Thema ganz besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Zudem schult der Verkehrsunterricht generell das Gefahrenbewusstsein und die Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen. In der vierten Klasse ist dafür genau der richtige Zeitpunkt, die Kinder haben den Rubikon meist überschritten und ein Bewusstsein für die Welt da draußen entwickelt sich. Dabei gliedert sich der Unterricht in die drei Teile: Das verkehrssichere Fahrrad, Theorie und Praxis der Verkehrssicherheit. Der erste Teil war schnell abgehandelt, da den Kindern einleuchtete, wie wichtig neben dem Sehen das Gesehenwerden ist, was eben nicht nur durch Scheinwerfer und Rückstrahler sondern durch eine Vielzahl von Reflektoren gewährleistet wird. Auch der Sinn zweier gut funktionierender Bremsen und einer Klingel war den Kindern sofort klar. Beim Praxischeck der Räder auf dem Schulhof zeigte sich aber, dass es zum Beispiel nicht genügt, zwei Bremsen zu haben, wenn ausgerechnet die Hinterradbremse keine Wirkung hat. Und wie entscheidend kann es sein, schnell zum Stehen zu kommen, wenn z.B. ein Autofahrer unvermittelt aus einer Ausfahrt kommt und den Radweg kreuzt. Auch viele Verkehrsschilder kannten die Kinder bereits. Wer aber z.B. bei einer abknickenden Vorfahrtsstraße warten muss oder dass man an einem Stoppschild auch anhalten muss, wenn kein Auto kommt, erfuhren die Schülerinnen und Schüler. Auch der Unterschied von einem quer- oder längsgeteilten Radweg ist, war zu Anfang nicht allen Kindern klar. Noch komplexer stellte sich die Anwendung der Rechts-vor-links-Regelung in der Praxis heraus. Was zum Beispiel, wenn mehrere Fahrzeuge an einer solchen Kreuzung stehen? Was tun bei einer blinkenden Ampel? Was gilt, wenn ich von rechts in den Kreisverkehr einfahren will? Der wichtigste Aspekt bei allen Fragen war aber immer, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man als Radfahrer im Straßenverkehr fast durchgehend das schwächste Glied ist und immer mit der fehlenden Umsicht bis Rücksichtslosigkeit der Autofahrer rechnen muss. Am deutlichsten wurde das wohl beim Thema "toter Winkel", der diesen doppeldeutigen Namen zurecht trägt. Immer noch passieren unzählige schwere Unfälle, weil LKW- aber auch PKW-Fahrer Radfahrer und Fußgänger insbesondere beim Rechtsabbiegen übersehen. Ein Skandal eigentlich, dass hier erst jetzt die längst mögliche technische Abhilfe durch verpflichtende Warnsysteme zumindest bei Lastwagen umgesetzt werden. Auf der anderen Seite kann man auch als Radfahrer durchaus auch Fußgänger, andere Radfahrer und selbst Autofahrer gefährden. Ein weiterer Schwerpunkt der Verkehrserziehung lag also im rücksichtsvollen und vorsichtigen Umgang mit anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, insbesondere Menschen zu Fuß auf geteilten Radwegen oder in verkehrsberuhigten Zonen. Der spannendste Teil war naturgemäß für alle Schülerinnen und Schüler die praktische Anwendung. Zunächst durften alle Kinder einzeln die wichtigsten Regeln auf dem Schulhof üben. Glücklicherweise befindet sich aber auch der Verkehrsübungsplatz Rath ganz in der Nähe der Schule, sodass wir dorthin dreimal mit dem Bus jeweils mit einer halben Gruppe fahren konnten. Hier konnte ich das Kommando an den Verkehrspolizisten Torsten Treptow abgeben, der dort die seit vielen Jahren erprobten Übungen auf dem großen Parcour mit Verkehrsschildern und Ampel zum Anfahren, Rechts- und Linksabbiegen anleitete. Dabei stellte ich fest, dass im Unterschied zu früherem Verkehrsunterricht mehr Wert auf das Verstehen der Verkehrssituation, als auf ein bloßes Auswendiglernen von Bewegungsabläufen gelegt wird. So lassen sich die meisten Abläufe mit dem einfachen Dreischritt erst schauen (also meist umdrehen), dann zeigen und dann fahren zusammenfassen. In der Praxis zeigte sich dennoch, dass es hierfür auch einiges an Übung braucht, zumal einzelne Kinder auch noch etwas Unsicher beim Radfahren waren. Vor dem dritten Besuch beim Verkehrsübungsplatz baute ich daher auch noch einen Übungsparcour auf dem Schulhof auf, auf dem die Kinder mit ihren eigenen Rädern üben konnten. Bei dieser Gelegenheit konnten die Kinder auch gegenseitig ihre Räder auf Verkehrssicherheit überprüfen. Zum Schluss gab es dann noch ein etwas anderes Wettrennen, bei dem es darum ging, wer eine nur etwa 20m lange Strecke am langsamsten bewältigen kann, ohne dabei den Fuß auf den Boden setzen zu müssen, was sich als gar nicht so einfach erwies. Mit besonderer Aufregung sahen die Kinder dann dem dritten Besuch des Verkehrsübungsplatzes entgegen, bei dem sie zeigen sollten, ob sie das Gelernte auch auf selbst gewählten Wegen mit Begegnungen mit den anderen Radfahrern anwenden konnten. Nach anfänglicher Nervosität zeigte sich, dass die Klasse tatsächlich fast durchgängig zu einem verkehrssicheren Fahr-Verhalten gefunden hatte. Auch der Theorietest offenbarte hier und da noch Unsicherheiten, zeigte aber, dass es gelungen war, die Klasse fast durchgehend fit für den Straßenverkehr zu machen. Rückblickend kann ich auch feststellen, dass diese Epoche nicht nur allen Kindern großen Spaß gemacht hat, sondern für jede Schülerin und jeden Schüler einen wichtigen Beitrag zur Lebenstauglichkeit geleistet hat. Dieser Aspekt verbindet aufs Wunderbarste den Anspruch der Waldorfpädagogik eine Schule fürs Leben mit der Realität. Helmward Ungruhe
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